Eigentlich spielt Jan Ghadamian im Ultimate Frisbee-Nationalteam. Doch Corona hat ihn zum Discgolf gebracht. Worum es bei der Kombination aus Frisbee und Golfen geht – und warum die Sportart so viele neue Menschen begeistert.
Von Anna Luna Frauchiger
Jan Ghadamian steht einige Meter hinter der Abwurffläche, seitlich abgedreht, einen Frisbee in der rechten Hand. Er nimmt Anlauf, kreuzt den linken Fuss hinter den rechten, holt mit der rechten Hand weit hinter dem Körper aus, schwingt sie nach vorne und wirft. Der Frisbee fliegt geradewegs gegen einen Baumstamm. «Aiaiai, peinlich!», sagt er und lacht: «So sollte man es nicht machen.»
Er nimmt einen weiteren Frisbee aus dem Rucksack, der im Gras neben ihm liegt, und versucht es nochmals. Diesmal gleitet die Scheibe mehr als 60 Meter weit – und landet deutlich näher am Ziel: einem hüfthohen roten Metallkorb, über dem silberne Ketten von einer Stange herabhängen.
Ghadamian steht an diesem Freitagnachmittag auf dem Discgolf-Kurs auf dem Sportplatz Hardhof in Zürich-Altstetten. Das Ziel: Einen Frisbee vom Startpunkt – dem sogenannten Tee-Pad – mit so wenig Würfen wie möglich bis in den Korb zu bringen. Auf jedem Kurs stehen 18 Körbe: Einige liegen mehr als 100 Meter vom Tee-Pad entfernt und verlangen weite Würfe, andere erfordern präzises Spiel, weil Hindernisse wie Bäume im Weg stehen. Wie beim klassischen Golf – oder «Schlägergolf», wie Ghadamian es nennt – gilt: Je tiefer der Score, desto besser.
Weitergespielt wird, wo der Frisbee landet – also auch mal im Gebüsch.
Den Kurs auf dem Hardhof kennt Ghadamian in- und auswendig: Seit vier Jahren spielt er hier alle zwei Wochen mit Freunden.
Und trotzdem ist Discgolf für Ghadamian nur ein Nebengleis. Im Grunde spielt der 27-Jährige Ultimate Frisbee – Frisbee als Teamsport –, und das sehr kompetitiv. Mit seinem Team, den Panthers Bern, wurde er schon mehrfach Schweizer Meister und nimmt an internationalen Turnieren teil. Ausserdem ist er Teil des Nationalkaders und trainiert die U20-Nati.
Jan Ghadamian im Einsatz für sein Ultimate-Frisbee-Team Panthers Bern im Mai 2025.
Discgolf entdeckte Ghadamian während der Corona-Pandemie für sich – als keine Ultimate-Frisbee-Trainings stattfanden: «Man kam damals kaum nach draussen und mir fehlte die Bewegung», sagt er: «Also bestellte ich online neun Discgolf-Scheiben und nahm meine Mitbewohnerin und meinen Mitbewohner mit auf den Hardhof.» Im Gegensatz zu den beiden WG-Gspänli, die schon nach dem ersten Ausflug genug hatten, spielte Ghadamian ab da im Frühling und Sommer 2020 zwei Mal pro Woche Discgolf.
Ghadamian ist nicht der einzige, der während Corona zum Discgolf fand: «Seit Covid ist die Szene für Schweizer Verhältnisse regelrecht explodiert», schreibt Marco Juen, Präsident des Schweizer Discgolf-Verbands auf Anfrage. Von 2020 bis 2024 stieg die Anzahl lizenzierter Spielerinnen und Spieler von 146 auf 238. Dass in diesem Jahr nur 195 Lizenzen vergeben wurden, führt Juen auf eine Erhöhung der Gebühren zurück.
Da die Discgolf-Kurse kostenlos zugänglich sind, gibt es aber auch viele Gelegenheitsspieler, die in offiziellen Statistiken nicht auftauchen, erklärt Juen. Auch in diesem Bereich beobachte er in den letzten Jahren ein Wachstum: Auf der App UDisc, wo sämtliche Kurse weltweit einsehbar sind, hätten im laufenden Jahr bereits über 1400 Golferinnen und Golfer ihre Punktzahlen auf einem Kurs in der Schweiz eingetragen.
Auch Jan Ghadamian ist dem Discgolf treu geblieben, obschon längst wieder Ultimate-Frisbee-Trainings stattfinden. «Die Priorität liegt klar beim Ultimate», sagt er: «Aber Discgolf macht mir zu viel Spass, um damit aufzuhören.»
Die wichtigsten Tipps für Anfängerinnen und Anfänger:
Ein- bis zwei Mal pro Jahr misst sich Ghadamian an einem Discgolf-Turnier mit anderen. Ansonsten spielt er ohne Ambitionen, wettet nur ab und zu mit anderen Golfern um ein Getränk oder ein Glacé. Statt stundenlang auf denselben Korb zu werfen, um seine Technik zu perfektionieren, spielt er immer den ganzen Kurs: «So wenig kompetitiv kenne ich mich sonst gar nicht», sagt er schmunzelnd.
So wenig kompetitiv kenne ich mich sonst gar nicht.
Für Ghadamian ist Discgolf eher Freizeitspass als Leistungssport: «Es braucht zwar mehr Technik beim Werfen, ist aber weniger athletisch und vielseitig als Ultimate Frisbee», sagt er. Weil er zudem findet, dass manche Discgolfer sich zu ernst nehmen, bricht er gerne mit ihren Konventionen: Er ordnet zum Beispiel die Frisbees in seinem Rucksack nach Farben – für Profis ein absolutes No-Go.
Die sortieren ihre Scheiben nach den Eigenschaften, die sie haben: Discgolf-Frisbees sind nämlich unterschiedlich schnell, schweben unterschiedlich lange in der Luft und fallen mehr oder weniger nach links oder rechts ab. Für weite Distanzen nutzen Discgolfer einen Driver, für mittlere Distanzen eine Midrange-Scheibe und für den Wurf auf den Korb einen Putter. Nach jedem Wurf dürfen sie einen anderen Frisbee wählen.
Auch Ghadamian trägt auf dem Hardhof ungefähr 20 Frisbees mit sich – alle, die er besitzt. Manchmal ist die Auswahl praktisch, manchmal ein bisschen übertrieben: «Es amüsiert mich, wenn sich Discgolfer nerven, dass sie eine bestimmte Scheibe nicht dabei haben.»
Ghadamian ist sich durchaus bewusst, dass seine belächelnde Art arrogant wirken kann. Vielleicht sei seine Haltung auch eine Art Selbstschutz, gesteht er ein: «Wenn ich richtig trainieren würde, könnte ich bei den Top-Discgolfern in der Schweiz mitmischen. Das tue ich nicht. Also versuche ich mich abzugrenzen.»
Das gelingt ihm nicht wirklich: Im Gespräch ist spürbar, dass Discgolf ihn in den Bann gezogen hat. Er weiss Bescheid über Ratings, die auf Basis der Leistung des Spielers und des Schwierigkeitsgrads der gespielten Kurse bei Turnieren berechnet werden, er schaut sich die Übertragungen der Pro Disc Tour an, der US-amerikanischen Profiliga. Und er plant, nächsten Sommer mit zwei Freunden nach Åland zu reisen – eine Insel vor Finnland, auf der es 21 Discgolf-Kurse gibt.
Vielleicht werde ich doch noch zum einge-fleischten Discgolfer.
Als Ghadamian auf dem Hardhof am Ende des Kurses über den Fussballplatz zurück in Richtung Fahrradständer geht, hält er an und wirft nochmals einen Frisbee Richtung Korb acht: Er versucht, die Scheibe in einem Bogen rechts am Zaun und dann zurück zum Korb fliegen zu lassen. «Den Wurf wollte ich nochmals probieren», sagt Ghadamian. Und: Wenn er in ein paar Jahren nicht mehr fit genug sei fürs Ultimate Frisbee, werde er vielleicht doch noch zum «eingefleischten Discgolfer».
Das Discgolf-Glossar: